2024 – ein ereignisreiches Jahr: nachtfrequenz24
Next Level PechMarie – 28.09.2024 – unter den Bahnbrücken nahe FREIraum21.
Wenn Pechmarie den Job bei Frau Holle angenommen hätte, wäre sie heute eine erfolgreiche Social-Media-Influencerin, weil sie erkannt hätte, dass es lukrativer ist, ihre Faulheit zu monetarisieren, indem sie authentischen Content über das Vermeiden von Arbeit erstellt. Im Gegensatz dazu wäre Goldmarie von chronischer Überarbeitung geplagt, da sie versucht, die Erwartungen einer Gesellschaft zu erfüllen, die Fleiß über alles stellt.
Mit dieser These haben wir zur diesjährigen nachtfrequenz24 Jugendliche aufgerufen, eine Performance in Tanz und Worten zu erarbeiten: Grundlage: Frau Holles Reich: Zwei Brücken, zwei Schwestern: Pech und Gold. Mit dem Untertitel „Pech ist das neue Gold“ wurde hinterfragt, ob die traditionelle Werteauflistung von „Fleißig ist gut“ und „Faul ist schlecht“ in unserer komplexen Welt zeitgemäß ist.
Nicht nur, dass die KI eine lange Liste von Vorteilen ausspuckt, um die Vorteile von Faulsein aufzuzeigen (Ressourcenschonend, Erholung, Effizienzsteigerung und so weiter) – es spiegelt sich auch eine andere Welt auf Social-Media wider, in der man die eigene Faulheit sehr lukrativ monetarisieren kann.
So war es nur ein kleiner Schritt, die Performance live unter den Brücken, aber gleichzeitig auch online auf Instagram stattfinden zu lassen: Der Account @next.level.pechmarie war drei Tage lang online und wurde am Tag nach der Performance gelöscht – Eine Liveperformance soll nicht unendlich verfügbar sein.
Das Setting war real = Öffentlicher Raum = Eine Zwillingsunterführung von Eisenbahnbrücken, die auf hohen Steinwällen lagert, in die Nischen eingelassen sind und in denen die Jugendlichen sich eingerichtet haben. Die Szenen waren live, vorgefertigt oder interaktiv.
Das Publikum konnte einen von drei Fleiß- bzw. Faulheits-Bereichen wählen: Die erste Publikumskategorie war das Old-School-Präsenz-Publikum. Es kam just in time und wurde durch die Szenen und die Unterführungen geführt. Es musste auf Leitern klettern, um Szenen zu sehen, wurde geboxt, musste zur Seite springen, wenn ein Auto kam.
Die zweite absolvierte den ersten Schritt, kam also just in time, blieb aber im Gebäude, saß auf einem goldenen Sofa, wurde von einem Kellner mit Kaffee, Kuchen und Süßigkeiten verwöhnt. Das Stück sah es in den entsprechenden Posts auf dem dafür angelegten Instagram-Kanal. Aber: alle Live-Zuschauenden wählten Kategorie 1 – obwohl wir ein so gemütliches Sofa hatten.
Die dritte Kategorie Publikum saß, lag, hielt sich da auf, wo es war und entschied über den Instagram-Kanal durch Anklicken, Anteil zu nehmen: 42 Follower und 2778 Aufrufe.
Was kann das Resultat daraus sein? Wir wissen es nicht. Wir haben Fragen angerissen, aber nicht beantwortet. Es war ein Experiment, es hat Spaß gemacht, aber letztendlich geht es uns immer um das Liveerlebnis, das Aufstehen, Hingehen, Proben, authentisch sein, auch mal scheitern, den einmaligen und nicht widerholbaren Moment zwischen Darsteller*innen und Publikum.
Durch das Setting des öffentlichen Raumes, in dem auch jede Probe gleich eine Aufführung war, wurde der FREIraum21 als Quartiers- und Performancezentrum erneut nach außen sicht- und erlebbar.
Für uns war unser Theater-/ Performancelabor im Kontext der nachtfrequenz24 für alle Beteiligten eine großartige Erfahrung, die wir in unserer Bildungs- und Kulturarbeit weiterverfolgen werden.
Oder anders gesagt: Wir lieben das Gold.
Link zum Radiobeitrag von Radio@Freiraum21. Gesendet wurde am 23.09.24 auf Welle Niederrhein. Viel Spass beim reinhören: https://www.nrwision.de/mediathek/kulturimpulse-by-werkhaus-nachtfrequenz-2024-strassenfest-40-jahre-werkhaus-240925/
Hintergrund: Die Nachtfrequenz in unserem Haus hat sich zu einem Format der forschenden Freiarbeit von Jugendlichen entwickelt, denen wir projektbedingt thematische Vorschläge machen, die in Gesprächen und experimentellem Spiel eigenständig erörtert und dem Publikum zur Diskussion gestellt werden. Anna Brass und Andreas Simon unterstützen die TN bei der Wahl der dramaturgischen Mittel und der Choreographie der Veranstaltung, sowie der Beschaffung technischer Hilfsmittel.