Was ist Raum?
Ende der Ausstellung und das Vorwort zum Abschluss
Die scheinbar einfachen Dinge sind fast immer recht vertrackt, und so gibt die Ausstellung unter vordergründig schlichtem Titel höchst unterschiedliche Impulse, die in Betrachtungsweise und Begrifflichkeit herausfordern. Nur eines ist sicher: Es gibt nicht nur eine Antwort auf die Frage nach Raum. Es ist naheliegend beim Raum zunächst an ein Medium der Architektur zu denken. Ein Raum kann schützen, aber auch beengen. Ebenso gibt es den sozialen Raum, den Landschaftsraum, das Habitat als Lebensraum und andere Konstellationen, die sich in ihrer Ausdehnung nicht eindeutig und klar umreißen lassen.
Manuel Schroeder bat fünf weitere Künstler für den Raum des Südbahnhofs Krefeld sechs Positionen zum Raum beizusteuern. Jeder Künstler nimmt sich zurück auf zwei Exponate, die sehr unterschiedliche Anstöße geben und dabei immer auch die Frage nach der Wahrnehmung einbeziehen. Die sechs Akteure fordern heraus, thematisieren Möglichkeiten und provozieren Fragen.
Manuel Schroeder ist Initiator und Teilhaber der Ausstellung – und er ist ein Künstler mit einer beeindruckenden Vielschichtigkeit, zu der auch die grenzübergreifende Verquickung von Ausdrucksmitteln bis hin zur crossmedialen Interpretation mit Fotografie, Malerei, Collage und Decollage zählt. Beherrschende Themen sind das städtische Lebensgefühl und die sich daraus ergebenden Sozialstrukturen. Der Künstler nennt die Straße sein Atelier und spürt dem Lebensnerv in dem vom Menschen selbst geschaffenen Umfeld nach. So auch im Beitrag zu dieser Ausstellung mit einer Motion-Picture-Arbeit, einer Projektion auf weißer Wand. Hier verschmelzen zwei alltägliche Bewegungsabläufe. Diese Verquickung steht symbolisch für die Reizüberflutung eines urbanen Umfeldes. Der urbane Mensch ist einer permanenten Rezeption ausgesetzt, die subtile Botschaften vermittelt und Wahrnehmung beeinflusst und oftmals zum Verlust von Wahrnehmungsebenen führt. Der Künstler setzt sich mit dem Paradoxon auseinander, dass der Mensch urbanen Lebensraum schafft, aber auch vom urbanen Lebensraum geprägt wird.
Eva Roux zeigt rätselhafte Räume mit Verweisen auf Landschaftsräume, die nicht lokal zu verorten sind. Ihre Bilder in Mischtechnik sind Teil der Serie „Honey-Moon“, deren Titel eher verwirrt als aufklärt, eher ein Gefühl zu umschreiben scheint als einen Ort oder Raum. Roux malt, collagiert, skizziert einfache Linien, die mit den gerissenen Kanten collagierter Elemente kontrastieren. So verknüpft und trennt sie unterschiedlichste Elemente und Inhalte. Sie jongliert mit Landschaftsmotiven, mit perspektivisch erfahrbarer Tiefe und Nähe sowie Brüchen, die Räumlichkeit negieren und surreal anmutende Verknüpfungen nahelegen.
Rouxs Zyklus ist inspiriert von der Vorstellung des „Marriage of styles“ des britischen Künstlers David Hockney. Sie kombiniert und addiert über Malerei, Collage und Zeichnung Inhalte, die sich nicht auf einem Blick erfassen lassen und doch zur Einheit werden. Sie schafft Raum für Assoziationen und sprengt zugleich die Vorstellung von Raum, indem sie konventionellen Sehgewohnheiten widerspricht.
Thomas Ritschel studierte Architektur am Bauhaus der Universität in Weimar. Seine Kunst reflektiert architektonische Strategien, kennt das Vokabular grundlegender geometrischer Elemente, ohne die Illusion einer begehbaren Architektur anzubieten. „Dynamic Squares“ heißt die Abfolge von Arbeiten mit jeweils zwei ineinander gesetzten Quadraten. Ein Blick über die Objekte hinweg lässt ahnen, dass sie aus einer Platte gearbeitet wurden. Nach oben und in der Standfläche schließen die Arbeiten plan ab. Im Kontrast dazu stehen jedoch stets unterschiedlich ausgeprägte Winkel, die konventioneller Raumerfahrung widersprechen. Der Künstler spielt mit dem positiven und dem negativen Raum. Er gibt ein Gerüst vor, das in sparsamer Formgebung dynamisch in verschiedene Richtungen divergiert. Es ist, als ob die Seiten kippen, sich auffalten. Die Perspektivverzerrung ist zugleich Augentäuschung, die den sicheren Stand suchen lässt. Ritschels Objekt ist eine Skulptur, die konstante Veränderung suggeriert.
Dorothea Nold baut im Objekt mit Streben und Diagonalen eine Silhouette von Raum mit Andeutung, Freiraum und Leere. Für die Präsentation wählte sie ein reales Objekt und die Vermittlung über die Zwei-Kanal-Diaprojektion, um Möglichkeiten des Baulichen vorzustellen. Ihr geht es nicht um reine Abbildung von Architektur, sondern um die Verknüpfung von Imagination und räumlicher Erfahrung.
Beim Objekt steht das Material für die Schwerkraft, zugleich ist die Formgebung filigran, offen, nicht abgezirkelt. Die Künstlerin kontrastiert das Sichtbare und mit dem Nicht-Sichtbaren, Stabilität und Fragilität, Freiraum und Begrenzung. Das Greifbare mutet nicht starr an, da das Gerüst über Unregelmäßigkeiten veränderbar wirkt. So treffen Schwerkraft und Veränderbarkeit auf einander. Die Diaprojektion ist eine Auseinandersetzung mit Transformation von Materialität im unbestimmten Raum. Im Umgang mit Objekt und dem sichtbaren, doch nicht greifbaren Schattenwurf stellt sich die Frage nach dem Grenzbereich von Materialität und Immaterialität, von Zustand und räumlicher Erfahrung sowie atmosphärischen Einflüssen. Das Zusammenwirken von materieller Wirkkraft und Prozesshaftigkeit verweist auf das Verhältnis von Körper, Zeit und Raum und damit schließlich auf die Vergänglichkeit, die jedem Prozess innewohnt.
Hans-Peter Hepps Landschaftsbilder bergen gegenständliche Motive, sind aber entfremdet und frei von der Illusion, Realität zu spiegeln. Frei erdacht ist die Landschaft mit dem Meerblick und dem kuppelartigen Hügel am vorderen Bildrand. Kaum begehbar erscheint der eingefügte Kubus, während ein im Turm gebündeltes Gespinst von Linien einen imaginären Luftraum erschafft. Im Bild vom Park umspielt der Künstler Dunkel und Licht. Lichtkegel scheinen Räume vorzugeben, die immateriell und erfahrungsgemäß von vorübergehender Dauer sind. Das grelle Pink der Bänke widersprecht der Seherfahrung, da sich die Farbe im nächtlichen Grau/Dunkel nicht entfalten könnte. Die Bänke wirken wie aufgeladen vom Licht, das eine fluoreszierende Wirkkraft entfaltet. Der Künstler arbeitet mit realen und erfundenen Bildelementen, die er vereinfacht in Szene setzt. Um eine dreidimensionale Wirkung malerisch umzusetzen, formt er vorbereitend Modelle. Seine Bilder geben eine Aufsicht auf die Szene und torpedieren Sehgewohnheiten. Die Anschauung funktioniert, obwohl es die Dinge so nicht gibt. Der Künstler sagt von sich: „Raum in meinen Bildern bedeutet für mich, dem Betrachter eine durch mich generierte Welt zu vermitteln“.
Christina Bunk ist Innenarchitektin und Bildhauerin. Folgerichtig verfolgt sie verschiedene Herangehensweisen. Sie bildet Raum, indem sie Kunst für einen bestimmten Ort entwickelt. Ebenso bezieht sie sich auf Raum, um ein formales Thema plastisch erfahrbar zu machen. Die Künstlerin entwickelt ihr Thema über Skizzen und Entwürfe bis hin zu Werkzeichnungen in Originalgröße. So bereitet sie auf der zweidimensionalen Fläche die dreidimensionale Form, die plastisch räumliche Gestaltung vor. In Maßen und Proportionen bezieht sich auf einen Raum oder räumliche Details wie auch auf geometrische Formen oder ein organisches Wachstumsprinzip. Im Dialog sind jeweils Objekt und vorbereitende Zeichnung einander zugeordnet, während auf dem Boden aufgezeichnete Linien das Verhältnis von Raum und Fläche aus anderer Warte reflektieren.
Bunk stellt ihre Keramiken aus gewalzten Tonplatten her und fügt diese zu plastischen Körpern. Die Bearbeitung mit Drücken, Schlagen und Klopfen hinterlässt Spuren, die den Entstehungsprozess dauerhaft sichtbar machen. Im kulturübergreifenden Bezug setzt sie auf die japanische Ästhetik des Nicht-Perfekten, des „Wabi-Sabi“. Kleine Formabweichungen und Unregelmäßigkeiten werden dabei zu Zeichen von Lebendigkeit sowie Prozesshaftigkeit, in letzter Konsequenz zu Zeichen der Vergänglichkeit.
Manuel Schroeder ist in dieser Runde der einzige, der unmittelbar menschliches Handeln thematisiert. Doch immanent ist der Bezug zum Menschen auch bei seinen Künstlerkollegen präsent, ebenso das Thema Wahrnehmung. Der Bezug zur Architektur ist gegeben, wie auch der zu dem vom Menschen geschaffenen Lebensraum. Es ist offensichtlich: Für einen jeden der sechs Künstler ist Raum mehr als eine messbare Größe. Raum ist präsent in Verbindung mit Zeit, Prozess und Lebensgefühl.
Dr. Angela Wilms-Adrians
November 2017