By: Maryam Gheiji

Zwischen Hochzeit und Heimat: Die Stille Last die Steine

An einem milden Frühlingsabend begegneten die Zuschauer*innen auf der Dachterrasse des Südbahnhofs einer ungewöhnlichen Szene. Sie nahmen auf provisorischen Tribünen Platz, gegenüber dem alten Stellwerk des Bahnhofs, während das Rauschen Krefeld Hauptbahnhof wie ein Flüstern im Hintergrund lag. Alles war bereit für ein Erlebnis, das Migration nicht durch Worte, sondern durch Körper, Erde, Schweiß und Blicke erzählen sollte.

In der Performance „Steine“, Teil des Projekts „Change“, begaben sich zwei Darsteller*innen – eine Frau im weißen Brautkleid und ein Mann im schwarzen Anzug – auf eine Reise, die zunächst von Freude und Hoffnung begleitet schien. Sie lächelten, hoben ihre Gläser, prosteten dem Publikum zu, tanzten, während der warme Abendwind den Brautschleier sanft bewegte. Doch dieser schöne Anfang war nur ein Vorspiel für etwas deutlich Schwereres.

Die Musik verstummte. Der männliche Darsteller legte sich auf die Steine, suchte eine bequeme Position – vergeblich. Die Steine waren hart. Sein Anzug wurde staubig, seine Bewegungen unruhig. Die Frau stand still. Allmählich verwandelte sich die Szene in eine körperlich erschöpfende Anstrengung: das Tragen der Steine, einen nach dem anderen. Jeder Stein war eine Last – aus der Vergangenheit, aus Entscheidungen, aus Verlust. Die Braut legte ihre silbernen High Heels ab, hob ihren Schleier vom Boden. Ihr Kleid war nun voller Erde, die Erschöpfung spürbar.



In völliger Stille verfolgte das Publikum ihren Weg – den Weg der Steine von einer Seite zur anderen. Was zunächst willkürlich war, wurde nun sorgfältig geordnet. Vielleicht ein Symbol für ein „neues Zuhause“. Doch was für ein Zuhause? Auf hartem Boden, mit schwerer Last und Erinnerungen, die nicht vergessen sind.

Eine Zuschauerin sagte über das Ende: „Es war interessant, wie die Braut am Schluss ihren Strauß warf – wie bei einer Hochzeitstradition. Aber diesmal hatte ich Angst, ihn zu fangen. Es war kein freudiger Moment. Ich wollte nicht die Nächste sein auf diesem schweren Weg.“

Im Anschluss gab es eine kurze Diskussion. Jemand fragte: „Was bedeutet der Stein, der rechts neben den Schuhen liegen blieb?“
Regisseur Dritan Sejamini antwortete nicht direkt, sondern fragte zurück: „Was denken Sie?“
Ein Publikumsgast sagte: „Vielleicht steht er für das, was wir nicht mitnehmen können: verlorene Menschen, Erinnerungen, Verletzungen, die nicht mehr tragbar sind.“

Die Performance dauerte 45 Minuten – doch sie wirkte schwerer. Sejamini hatte zuvor gesagt: „Worte reichen nicht. Manchmal muss man etwas fühlen, berühren – wie wenn man jemanden fragt, wie es ihm geht, und bevor er antwortet, sagt schon sein Blick oder seine Hand alles.“

Am Ende standen Mann und Frau auf der neu geschaffenen Struktur aus Steinen, hielten sich an den Händen und blickten in die Menge – still, ohne Erklärung. Die Frau drehte sich um, hob den Strauß und warf ihn mit aller Kraft – vielleicht als Befreiung oder als geteilte Verantwortung.

In der nächtlichen Stille, zwischen Bahnsteigen und vorbeifahrenden Zügen, wurden Gedanken wach. Migration ist mehr als ein Ortswechsel. Sie ist eine namenlose Last – mit tausend Gesichtern. Ein Stein, den man trägt. Oder vielleicht: ein Fundament, auf dem man neu bauen kann.

Chnange ist ein Projekt des Werkhaus e.V. gefördert vom

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