Poetisch leben im Südbahnhof
Beim letzten Auftritt der Reihe WeltMusikKulturen, verzaubert Nils Kercher mit westafrikanisch inspirierten Klängen das Publikum. Aber es ist nicht die Schönheit der dortigen Landschaft, die er besingt.
Ist Nils Kercher ein Botschafter Afrikanischer Kultur?
Eigentlich ist es ja egal. Auf welche Einflüsse Nils Kercher zurückgreift: Das Publikum ist fasziniert, begeistert und bedankt sich mit stehendem Applaus.
Wobei die afrikanischen Einflüsse deutlich zu erkennen sind: Man sieht die 21-saitige Stegharfe Kora, die unterschiedlichen Trommeln, und auch die muschelbesetzte Querflöte, die er spielt. Sie entstammen eindeutig der westafrikanischen Musik-Hemisphäre, genau wie die Rhythmen, abwechslungsreich, energiegeladen und direkt unter die Haut gehend, mitreißend.Gut, da ist auch das Cello als eindeutig europäisches und noch dazu klassisches Element, das Sue Schlotte spielt, aber das setzt sie auch mal als Rhythmusinstrument oder verfremdet ein, in dem sie den Bogen auf die Saiten schlägt. Dazu kommt der Gesang des Quartetts, zu dem auch Kira Kaipainen (Percussion, Balafon) und Sylvia Laubé (Percussions) gehören. Nils Kercher bevorzugt hohe Töne, die Melodien bestehen aus langen Tönen. So liegt der Gesang schwebend meditativ über den erdverbundenen Rhythmen. Auch ohne dass man die Texte versteht, trägt der Gesang in die Weite, die Musik bekommt Atem, sie hat eine Schönheit und Poesie, die dem Titel des neuen Albums eins zu eins entspricht: „SUKO – Your Life is Your Poem“ heißt es.
Die Bedeutung der Texte
Die Gruppe erzählt nur selten etwas von der Bedeutung der Texte, etwa bei dem Lied von Minyamba, der Schlange. Das Reptil, das wir Europäer mit Bedrohung und Falschheit assoziieren. Auch hier stockt einem zunächst der Atem: wenn man hört, dass sie ein ganzes Dorf verschlungen hat! Doch das geschah um zu helfen. Das Dorf litt unter einer Hungersnot und Minyamba transportierte es in ihrem Bauch an einen besseren Ort. Außerdem steht sie den Frauen bei den Geburten bei.
Nils Kerchers Prägung in Guinea
Kercher erzählt in einer Moderation gegen Ende des Auftritts auch von seinem ersten Aufenthalt in Guinea. Dort studierte er in der Hauptstadt Conakry bei Meistern der westafrikanischen Musik. „Ich wohnte – wie viele andere Menschen – neben einer Müllhalde, die stank, glomm und Rauchschwaden zogen über unser Wohnviertel“, sagt er und zerstört alle hochglanzpolierten Bilder der dortigen Landschaft, die beim Spiel der Gruppe vor dem inneren Auge entstehen könnten. Er erzählt von der Offenheit der Menschen, die nachsichtig waren, wenn er die dortige Sprache nicht auf Anhieb beherrschte, die ihn aufnahmen und sich über sein Interesse freuten. „Ich habe sie sofort vermisst, als ich wieder zurück in Deutschland war. Sie hatten so eine Würde und waren so schön! Nicht makellos, aber echt.“ Dann ist es wohl diese Seelenhaltung, die er besingt und der er huldigt und die er ergänzt mit dem, was ihm als weitgereisten Europäer zur Verfügung steht, mit Kira Kaipainen als Partnerin an seiner Seite, die aus Finnland stammt.
Kopieren kommt für Nils Kercher nicht in Frage
„Ich kopiere die dortige Musik nicht“, sagt er nach dem Konzert im Interview, das er dem Werkhaus gewährt. „Imitation wäre nicht stimmig.“ Eine Haltung, die man in Westafrika würdigt. „Wir waren auf Tournee im Senegal“, berichtet er. „Wir konnten zwar nicht mit dem Publikum sprechen, weil es dort unzählige Sprachen gibt, die ich nicht kenne, aber ich erinnere mich gut, wie beispielsweise ein alter Mann zu mir kam, mir die Hand drückte und mir lange in die Augen sah. Ich fühlte Dankbarkeit und damit hat er mich hoch beschenkt.“
„Dein Leben kann ein Gedicht sein. Erkenne die Schönheit, nimm sie auf in Dein Herz!“ – das sagt Nils Kerchers den ganzen Abend über mit seiner Musik.
Die Stimmen des Publikums
Nach der Vorstellung sind alle beeindruckt und glücklich. Dorit, die aus Kaarst kommt, ist froh, dass ihre Wiener Freundin ihr den Tipp gegeben hat, nach Krefeld zur Vorstellung von Nils Kercher zu fahren. “Sonst erfährt man ja nicht, was in Krefeld passiert, auch wenn Kaarst so nahe ist. Genauso geht es ihrem Partner, der aus Düsseldorf angereist ist.
Beeindruckt ist auch Stefan, der an diesem Abend wie so oft die Eintrittsgelder für den Werkhaus e.V. kassiert. “Normal gehe ich nach der Pause wieder nach Hause. Heute bin ich geblieben. Und das will was heißen”, sagt er bedeutungsschwer. Wie die meisten Zuhörer, hatten auch ihn die Rhythmen gepackt. Auch wenn sie sich nicht trauten, nach vorne zu gehen und zu tanzen, wie das für Afrikaner sicher üblich oder sogar normal gewesen wäre, bewegten sie sich auf ihren Stühlen zum Rhythmus der Musik.