Mission Transformation
Ein Standort unserer „Unterbrechungen“ im Rahmen des Projektes Retroperspektiv war das Arbeitslosenzentrum auf dem Westwall.
Wir, die Projektbeteiligten, kommen zu Besuch und betreten den Raum des Beratungszentrums, der ein wenig an ein Gemeindezentrum erinnert. Es ist angenehm warm, die Tische sind stimmungsvoll dekoriert, es gibt Plätzchen, Nüsse und Kaffee. Die Mitarbeiter des Zentrums haben sogar Kerzen angezündet. An einer Wand steht eine Reihe Computer, die von Besuchern genutzt werden können.
Wir lassen die Eindrücke in unserer Suche nach Lösungen und Möglichkeiten im Umgang mit Erwerbslosigkeit auf uns wirken.
Ein ungewöhnlicher Ort für einen Auftritt von Doasound. Wohin mit der Box? Er sucht sich eine publikumswirksame Stelle im Raum. Dann stimmt er uns mit sanften HipHop-Klängen ein. Bei den ersten Zeilen „Ich vergesse den Zeitdruck und den Rest der Welt“ werden wir ganz entspannt. Doch kaum haben wir uns in den Lauf der Musik eingefunden, da legt er los mit
„hat sich Materie bald erledigt oder bleibt er weiterhin magnetisch dieser Käfig? Geist bleibt beweglich… Geist bleibt beweglich“
Dann reklamiert er „Maskeraden und Fassaden“, „alle sind überarbeitet“, „treffen „…kaum mehr Freunde, alle überarbeitet“. Und zum Soul-Zitat aus den Siebzigern „the revolution will not be televised brother“ and sister, and sister and sister. The revolution will be live” setzt er hinzu „Transformation, du findest es nicht im Handel, diese Revolution, nicht im Web, nicht im TV, denn: the revolution will not be televised brother and sister, and sister and sister. The revolution will be live.”
https://www.youtube.com/watch?v=Mf4wGBDh0DM
Revolutionen wollten schon Viele. Unter Arbeitslosigkeit versteht man in der das Fehlen von erwerbsorientierten Beschäftigungsmöglichkeiten. Nach marxistischer Auffassung ist gesellschaftliche Arbeitslosigkeit sogar eine notwendige Begleiterscheinung des Kapitalismus. Die ersten statistischen Erhebungen zur Arbeitslosigkeit gab es in Deutschland von den Gewerkschaften im Jahre 1877, seit 1892 fanden sie systematisch statt. Das Wort Arbeitslosigkeit tauchte verbreitet jedoch erst nach 1890 auf.
Wie die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Nationalsozialisten mit Erwerbslosigkeit umging, berichtet Sandra Franz von der NS-Dokumentationsstelle. Sie beschreibt die Weimarer Zeit mit großer allgemeiner Verarmung. Geringer wurde diese erst, als ein Aufwärtstrend durch die Rüstungswirtschaft einsetzte. Die Nationalsozialisten verfolgten nach 1933 eine Politik, die Frauen weitestgehend aus der Arbeitswelt raushalten sollte. Erwerbslose wurden seit 1936 zur Zwangsarbeit verpflichtet. Mit Stigmatisierung, in diesem Fall die der sogenannten „Asozialen“ kam ein wichtiger Punkt zur Sprache. Damals propagierte Stereotype wirken bis heute nach. Damals wurden soziale Außenseiter ab 1938 mit der Aktion “Arbeitsscheu Reich” in Konzentrationslager verschleppt. Wohlfahrtsämter und die Polizei waren involviert. Als “arbeitsscheu”, „gemeinschaftsfremd” oder „mit Hang zum Verbrechen“ oder „asozial“ konnten Menschen in Vorbeugehaft gebracht werden. Dies war Teil einer umfassenden Politik des NS-Staats, in dem der Einzelne nur in seinem Wert oder Unwert für den “Volkskörper” betrachtet wurde. Ziel war die endgültige Beseitigung abweichenden Verhaltens.
Nach diesem Beitrag müssen wir uns erstmal wieder fassen. Dann kommt das Publikum zurück auf die Geschichte der „Arbeitslosigkeit“ und auf soziale Fragestellungen im Umgang mit Erwerbslosigkeit.
Doasound: „…Zeit für ne Aufarbeitung, nach der Einarbeitung folgt die Ausarbeitung – Wege aus der Arbeit…“
Über Stigmatisierung oder Projektionen auf Leistungsempfänger heute will niemand so richtig eingehen. Der Blick in die Vergangenheit war vielleicht entlarvend genug.
Beim Blick auf die aktuelle Zaheln erfuhren wir: 1/4 der Leistungsempfänger sind nicht wirklich erwerbslos, sondern sogenannte „Aufstocker”.
Es gibt immer mehr Menschen, die von ihren Gehältern allein nicht leben können! Von 20.384 erwerbsfähig Leistungsberechtigten sind 5.079 erwerbstätig und 1.892 geringfügig beschäftigt. Erwerbstätige, die ihr Einkommen/Gehalt mit Arbeitslosengeld II ergänzen müssen, werden umgangssprachlich “Aufstocker” genannt.
Ob ALG 1 oder ALG 2-Empfänger: Die Lebensumstände sind selbstredend meist schwierig. Beratung und Begleitung sind wichtig. Manchmal nur, um die Situation zu entspannen.
Carmen Pelmter hat die Krefelder Zahlen von Juli/Juni 2019: 28.844 Personen leben in Bedarfsgemeinschaften*. Von 15.018 Bedarfsgemeinschafts-Haushalten sind 8.488 mit einer Person und nur 972 mit über fünf Personen. In den Bedarfsgemeinschaften leben 4800 Kinder. Das bedeutet:
24,1 % von Krefelds Kindern unter 18 Jahren leben in Haushalten, die Sozialhilfe erhalten müssten. Kinder sind übrigens leistungsberechtigt, wenn ihr Bedarf nicht über Unterhalt und Kindergeld etc. gedeckt werden kann.
In umgangssprachlich „Hartz IV“* genannt (Leistungsempfänger nach SGB II), verweilen 1.416 Personen weniger als drei Monate. Doch die meisten, nämlich 12.839, über vier Jahre lang!
Viele bleiben über 6 Jahre „drin“. Anscheinend ist es insbesondere in Krefeld schwierig, wieder „raus“ zu kommen.
Und welche Erwerbsquellen können vermittelt werden? Nur die im Logistikbereich?
https://www.youtube.com/watch?v=-4-eKTDcy74
Doasound spielt ein: „…Ach komm du wusstest und ahntest es schon, Erzähl nichts Neues, will Erinnerungen hervorholen, fördert Bewusstsein zu Tage wie einst der Pott Kohlen, „Geist bleibt beweglich… Geist bleibt beweglich“
Wir wollen ja gerne im Geist beweglich bleiben. Wir ahnen doch, dass eine Transformation hin zu einer nahhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise nötig ist. Doasound verpackt es in seine Worte „…Es beginnt gerade, kommt zum Tragen, Worte werden Werke anstatt Waren,…“
Carmen Pelmter unterstreicht, dass sehr viele Menschen alleine leben. Sie spricht von der Vereinsamung der Gesellschaft. Sie meint, dass es besser wäre Hilfen anders einzusetzen: in den zweiten Arbeitsmarktanstatt in Aktivierungsmassnahmen zum Beispiel. Generell müssten neue soziale Wege gefunden werden, nicht nur durch anderen Hilfeformen sondern beispielsweise auch durch andere Wohnformen.
Dem schließt sich ein kleiner Diskurs über die Definition über Leistung an.
Und wir einigen uns auf die Zukunfts-Vorstellung von Doasound: „Ich nehm meine Arbeit Ernst, doch sie macht mir Spaß, ich sag nicht mehr ich muss, sondern ich will oder ich mag, ich fahr mir auch keinen Frust, sondern freu mich das ich darf…“
Doasound dankt allen Mitstreitern und meint:… man müsse nicht immer einer Meinung sein!?
*Bedarfsgemeinschaften Hartz IV
Rechtsbegriff der Sozialhilfe in Deutschland. Er wurde im deutschen Recht bei der Reform der Grundsicherung für Arbeitssuchende 2005 in das neu geregelte Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) übernommen. Dem Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft liegt die politische Entscheidung zu Grunde, dass Personen, die besondere persönliche oder verwandtschaftliche Beziehungen zueinander haben und die in einem gemeinsamen Haushalt leben, sich in Notlagen gegenseitig materiell unterstützen und ihren Lebensunterhaltsbedarf gemeinsam decken sollen.