Vortrag von Kulturminister a.D. Herbert Schirmer im Südbahnhof Krefeld
Am Samstag, dem 4. Oktober 2025, lud die Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) der CDU Krefeld anlässlich des 35-jährigen Bestehens der Partnerschaft zwischen der Stadt Krefeld und dem Landkreis Oder-Spree zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung in den Südbahnhof Krefeld, Alter Frauenwartesaal, ein. Der Kreisvorsitzende der KPV Krefeld, Andreas Focke, eröffnete die Veranstaltung und betonte in seiner Begrüßung die Kontinuität und den besonderen Stellenwert des kommunalen Brückenbaus, der diese Verbindung seit der deutschen Wiedervereinigung trägt. Als Referent sprach Herbert Schirmer, Kulturminister a.D. der DDR im Kabinett Lothar de Maizière und späterer Direktor des Bildungs-, Kultur- und Ausstellungszentrums des Landkreises Oder-Spree auf Burg Beeskow.

Herr Schirmer zeichnete in seinem Vortrag die Entstehung, Entwicklung und heutige Verfasstheit der Partnerschaft nach und verknüpfte diese mit einer pointierten Analyse der deutsch-deutschen Befindlichkeiten. Ausgangspunkt seiner Erinnerungen war das Jahr 1991: Mit der Ausstellung des Krefelder Fluxus-Künstlers Will Cassel auf Burg Beeskow gelang damals, so Schirmer, ein symbolischer und praktischer Auftakt. Zugleich wuchs das gegenseitige Interesse über kulturelle Gastspiele, etwa bei Chorbegegnungen oder dem Auftritt des Krefelder Fanfarenzugs. 1993 folgte eine Schwarz-Weiß-Fotodokumentation im Foyer des Krefelder Rathauses über den Zustand brandenburgischer Herrenhäuser und Schlösser. Für viele Mitarbeitende war dies eine erste, prägende Begegnung mit dem Osten. Ebenfalls 1993 stellten Landrat Dr. Jürgen Schröter und Kulturamtsleiter Dr. Wolfgang de Bruyn in Krefeld das Buch „Beeskow, Land der stillen Reize“ vor.
Nach einer ruhigeren Phase intensivierte sich die Zusammenarbeit ab 2010 erneut. Schirmer kuratierte im Südbahnhof die Ausstellung „Schichtwechsel“ (als Kurator verantwortlich für Konzept, Auswahl und Präsentation), die das sozial orientierte Auftragswesen der DDR-Kunst sichtbar machte und Verständigung über ästhetische Praktiken und politische Kontexte anstieß. Ein Jahr später folgte „SEITENWECHSEL“, eine lebendige Erzählung der deutsch-deutschen Kunstgeschichte der Jahre 1949–1965, in der Biografien und Bewegungen von Ost nach West, und umgekehrt, nachgezeichnet wurden. Spätere Projekte wie „Kultur ist Trumpf“ anlässlich des 20-jährigen Kulturabkommens, die stärkere Einbindung des gesamten Landkreises Oder-Spree sowie die aktuelle Fotoausstellung „Lausitz im Wandel“ auf dem Dach des Südbahnhofs belegen die Breite und Dauerhaftigkeit der Kooperation. Schirmer hob die Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Träger wie des Werkhaus e.V. (Anja Jansen, Georg Dammer), die Unterstützung der LOSCON-Kulturstiftung um Heinz Lassowsky sowie das Engagement von Peter Koenen, Karin Meincke und Ingeborg Müllers hervor.
In seiner Analyse ging Schirmer bewusst über die bloße Chronik hinaus. Er erinnerte an die anfängliche Euphorie der 1990er-Jahre und stellte ihr gegenwärtige Irritationen, Skepsis und politische Verwerfungen gegenüber. Unterschiedliche Sozialisierungen, hier die bürgerlich-individuelle Prägung des Westens, dort die kollektiv verankerte Alltagswelt des Ostens, wirkten fort und prägen bis heute Erwartungen an Demokratie, Verwaltung und kulturelles Leben. Die Neigung zur nostalgischen Verklärung der Vergangenheit und zu Wagenburg-Mentalitäten sei eine aktuelle Herausforderung, der nur mit fortgesetzter Begegnung, Wissenstransfer und gemeinsamen Projekten zu begegnen sei. Gerade deshalb brauche es, so sein Plädoyer, einen Kulturaustausch als Lernraum für historische Einordnung, demokratische Streitkultur und Vertrauen.
Im anschließenden Gespräch mit den Gästen, moderiert von der KPV, wurden Fragen aus dem Publikum aufgegriffen, die Herbert Schirmer im Saal beantwortete. Thematisiert wurden unter anderem die Rolle politischer Bildung in Schulen und Vereinen, die Verantwortung von Medien und Verwaltungen für verlässliche Informationen, die Verknüpfung von sozialer Sicherheit und demokratischer Teilhabe sowie die Wirkung familiärer Prägungen auf politische Urteile junger Menschen. Diskutiert wurde auch, wie kulturelle Orte, wie bestimmte Museen oder Stiftungen, als Begegnungsräume fungieren können, in denen Ost-West-Erfahrungen nicht nur ausgestellt, sondern miteinander verglichen und kritisch durchdacht werden. Im Vordergrund stand unter anderem die Weiterentwicklung gemeinsamer Formate (Ausstellungen, Lesungen, Musik, Stadtführungen, Schüleraustausch).

Am Ende stand die Bekräftigung, dass die Partnerschaft Krefeld – Oder-Spree ein Erfolgsmodell bleibt, das von persönlichem Einsatz, institutioneller Kontinuität und einem klaren Bekenntnis zur Demokratie lebt. „Kultureller Austausch bleibt notwendig – gerade jetzt“, brachte es Schirmer auf den Punkt. Der Kreisvorsitzende Andreas Focke dankte Referent und Gästen und lud dazu ein, die begonnenen Gespräche in Arbeitskreisen, Schulpartnerschaften und gemeinsamen Kulturveranstaltungen fortzusetzen.