Lydia Benecke: Die Psychologie des Bösen
Bei ihrem Vortrag im Südbahnhof sparte sie nicht mit klugen Warnhinweisen für Laien, übertrieb aber in Sachen Länge – Eine Kritik von Susanne Böhling
Besonders beeindruckend waren die Warnhinweise: „Bitte stellen Sie keine Diagnosen“, sagte Lydia Benecke immer wieder, wenn sie in Ihrem Vortrag zur „Psychologie des Bösen“ am Sonntagabend im Südbahnhof Kriterien nannte, anhand derer psychopathische Störungen erkannt werden können. „Das ist hier Wissenschaft in der Sendung-mit-der-Maus-Version!“
Eine ausgewiesene Expertin in Sachen Kriminalpsychologie
Dabei wusste die Diplom-Psychologin durchaus wovon sie sprach: Schließlich arbeitet sie in einer Ambulanz für Sexualstraftäter sowie einer Sozialtherapeutischen Anstalt (spezielle Form von JVA) mit erwachsenen Sexualstraftätern (verurteilt unter anderem wegen Kindesmissbrauchs, Kinderpornographie, Exhibitionismus, sexueller Nötigung, Vergewaltigung), Gewaltstraftäter (verurteilt unter anderem wegen Tötungsdelikten oder anderen schweren Gewaltstraftaten) sowie sexuell delinquenten Jugendlichen. Ihre Bücher haben es in die Bestsellerlisten geschafft und ein Abend mit Ihr versprach so vielen Menschen eine interessante Alternative zum sonntäglichen Tatort, dass der Südbahnhof ausverkauft war.
Kriterien für Psychopathie
Benecke benannte die nazistischen und antisozialen Störungen von Psychopathen und beeindruckte mit konkreten Beispielen aus ihrem Praxisalltag. Außerdem räumte sie mit Vorurteilen auf: „Nicht alle Psychopathen sind intelligent, so wie Hannibal Lecter.“ Solche Persönlichkeiten eigneten sich lediglich besser für eine dramatische Bearbeitung in Hollywood-Filmen. „Außerdem haben nicht alle einen Tötungsdrang!“ Das war durchaus erhellend, wie es kein Tatort sein kann.
Mängel im Vortrag
Aber der Tatort wäre deutlich früher zu Ende gewesen. Drei Stunden sind einfach sehr lang. Zuzüglich Pause. Klug ist es da auch nicht, mit 15 Minuten Verspätung anzufangen, weil man vor dem Vortrag Bücher verkaufen und signieren will. Natürlich hat man Verständnis, dass man auf Zuschauer warten will, deren Eintrittskarten eine falsche Anfangszeit (20:00 Uhr aufgedruckt hatten, aber dann sollte man seinen Vortrag straffen. Natürlich ist es schwer, sich kürzer zu fassen, besonders wenn man so begeistert ist von seinem Thema wie Lydia Benecke.
Deswegen hier eine Liste von Dingen, die sie weglassen könnte:
- Den Werbeblock – in welchen Fernsehsendungen sie auftritt und wie man Auftritte ihres Lebensgefährten buchen kann, welche Pop-Band sie beraten hat und welche ihrer Veröffentlichungen käuflich zu erwerben sind.
- Viele Details, wie beispielsweise die Namen der Kataloge, nach denen Krankheiten klassifiziert werden.
- Welche Gesellschaftsspiele sie Weihnachten mit ihren Freunden spielt.
So war der eine oder andere Zuhörer doch erschlagen. Nach der Pause waren die Reihen gelichtet und viele, die ein Buch erworben hatten, blätterten abwesend darin herum. Vielleicht hätte man die Biographien von Richard Kuklinski und Bertrand Cantat weglassen können, denen sich Benecke nach der Pause in aller Ausführlichkeit widmete. Der eine, ein amerikanischer Serienkiller, der unter anderem im Namen der Mafia 150 bis 200 Morde beging. Der andere ein französischer Popstar, der für den Totschlag an seiner Geliebten verurteilt wurde. Der scheinbare Suizid an seiner Frau bleibt mysteriös.
Inwieweit der Fall Cantat mit dem Borderline-Syndrom zusammenhängt, war in Anbetracht der späten Stunde nicht mehr für alle Zuhörer nachvollziehbar, zumal Beneckes Vortrag wenig pointiert war. Auch in Sachen Modulation hat ihr Vortrag durchaus Optimierungspotential. Weiterer Tipp: Wenn man schneller spricht, bekommt man zwar mehr Wörter in den Abend, aber weniger in die Köpfe. Nach 22:15 Uhr legte sie sogar noch an Tempo zu, damit das avisierte Ende der Veranstaltung, 22:30 Uhr, auch eingehalten werden konnte.