Trottoir zum Nachdenken

Rudolf, genannt Rudi, etwa 15 bis 16 Jahre alt, stand auf der Dießemer Straße Höhe Hausnummer 89. Dort betrieben seine Eltern einen Schrotthandel. Ein kleiner Junge fragte ihn, warum er so ein Zeichen auf seinem Mantel trage. Ach, das wäre so eine schlimme Sache, meint Rudi darauf und wendete sich ab.

Aus seiner Kindheit berichtete dies ein achtundsiebzig jähriger Mann – ergriffen, mit zittriger Stimme – am Telefon. Das war im Jahr 2011.

Auch Frau Josefine K. beschrieb in diesem Jahr in einem Brief an das SpieDie ein zufälliges Treffen mit der vier Jahre älteren Schwester von Rudi, Ida, beim Friseur Dohmen auf der Dießemer Straße. Josefine K., Tochter einer Bäckerfamilie, berichtete, sie wollte mit der etwa gleichaltrigen Ida etwas plaudern:

Sie (Ida) winkte aber ab und sagte wörtlich: ‘Bitte spreche lieber nicht mit mir, du könntest sonst Schwierigkeiten bekommen.‘

Die Rede ist von den beiden Kindern der Familie de Beer in den 40er Jahren. Weiter schrieb Frau K.:

Die Familie […] war […] eine angenehme Kundin unserer Bäckerei. Ziemlich unauffällig war dann die Familie de Beer eines Tages verschwunden.

Bei dem Abzeichen auf Rudis Mantel handelte es sich um den Davidstern. Die Familie war jüdischen Glaubens und wurde nur deshalb 1942 von den Nazis nach Izbica deportiert und ermordet. Bei den Nachforschungen wurden 2011 zum Gedenken an die Familie, Vater Bruno, Mutter Johanna, Ida und Rudolf de Beer vor dem Spielplatz SpieDie, dem ehemaligen Schrottplatz, im Bürgersteig sogenannte „Stolpersteine“ verlegt. Die Tochter Ida war 20 Jahre alt, der Sohn Rudi 16 Jahre als sie deportiert wurden.

Zum Gedenken an die Opfer des Nazi-Regimes hat der Künstler Gunter Demnig in Krefeld bereits rund 130 Stolpersteine verlegt. In Deutschland und 23 europäischen Ländern insgesamt fast 70.000 Steine.

Josefine K. schrieb in ihrem Brief den Schlusssatz:

(Es) […] überkommt mich auch jetzt wieder eine traurige Beklommenheit und es schmerzt, wenn […] jemand den Holocaust leugnet.

Wer sich mit dem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte weiter auseinandersetzen will, erhält mehr Informationen auf der Webseite der Villa Merländer. Auch ein Besuch der NS-Dokumentationsstelle auf der Friedrich-Ebert-Straße 42 lohnt sich.


Geheimes SpieDie ist eine Geschichten-Reihe von Helmut Boeck, langjährigem Mitarbeiter des Werkhaus e. V. und ehemaligem Leiter des SpieDie- Er erinnert sich und lüftet „Geheimes“, macht in lockerer Berichterstattung Verborgenes sichtbar. Wer noch weitere Geschichten auf Lager hat, kann sich bei uns melden.

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