In meines Vaters Haus
Vor dem Hintergrund stärker werdender nationaler rechter Bewegungen in Deutschland und europaweit heutzutage erinnerte unsere Veranstaltung “In meines Vaters Haus” an den Versuch der Befreiung von einer bleiernen Zeit des Verschweigens und des Verdrängens der Beteiligung an Krieg und Nazigreul. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Väter als Täter während der NS-Zeit stieß auf den Wunsch nach “Normalität” der Tätergeneration. Teilhabe am Wirtschaftsaufschwung und der Wunsch “das Vergangene endlich ruhen zu lassen” führten zu einem Generationenkonflikt, der in der RAF seinen krassesten Ausdruck fand.
Nach dem Scheitern von Teilen der Studentenbewegung und der staatlichen Reaktion auf den Terror der RAF entstanden sehr unterschiedliche poetische Reaktionen.
Diese künstlerische Auseinandersetzung nach dem Deutschen Hebst stand, künstlerisch und konzeptionell entwickelt vom Lyriker und Rezitator Wolfgang Reinke, eingebettet und kommentiert durch die Politikwissenschaftlerin Dr. Ingrid Schupetta, im Mittelpunkt der Veranstaltung „In meines Vaters Haus“ im Südbahnhof in Krefeld am 14.Juli 2019.
Der erste Teil der Lesung begann mit Franz-Josef Degenhardts „Wenn der Senator erzählt…“, dann Peter Rühmkorf, ganz persönlich mit den Followern von Gottfried Benn abrechnend.
Ernst Jandl und F.C. Delius beschäftigten sich mit Vätern, die zu wenig oder zu viel vom Krieg redeten. Ulla Hahn weitete die Sicht auf Mütter und Töchter, Helga M. Novak auf das Leben in der DDR. Rio Reiser zog das Fazit: „Ich will nicht werden, was mein Alter ist“.
Im Kontext der sexuellen Revolution standen die Irrungen und Wirrungen der Gefühlswelt, die mit den Zweifeln an althergebrachten Rollenbildern einhergingen. Peter Hacks, Helga M. Novak, Thomas Brasch, Heinz Czechowski und Sarah Kirsch arbeiteten sich am subjektiven Faktor ab, während es im Liebesleben von Wolf Biermann eher deftig zuging.
Spuren der Zeitgeschichte fanden sich in den Gedichten von Günter Kunert, Volker v. Törne, Ursula Krechel und Peter-Paul Zahl.
Real ging ein Teil der politisierten jungen Erwachsenen auf den Kurs der Gewalt. Sie waren der Überzeugung, dass man dem Staat seine Maske vom Gesicht reißen müsste. Die Massen auf der ganzen Welt würden dann gegen den Kapitalismus/ Faschismus rebellieren. Zu diesem Zweck gründete sich in Deutschland die Rote-Armee-Fraktion (RAF). Ihre diffus ideologisch unterfütterten Morde, insbesondere der im Oktober 1977 an Hanns Martin Schleyer, erschütterten die BRD.
Der Tod der RAF-Inhaftierten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Oktober wurde von nicht wenigen als Rache des Staates begriffen. Erich Fried problematisiert die Todesumstände in seiner „Selbstmordlegende“.
Die Verhältnisse waren so desolat, dass viele der Justiz Morde zutrauten.
Im Januar 1978 riefen die alternativen Gruppen, die sich jenseits von Terroristen, Kommunisten nach DDR oder China-Fasson entwickelt hatten, zu einer Reise an den Strand von Tunix nach Berlin auf. In der Technischen Universität wurden viele Projekte vorgestellt, die sich als erfolgreich erwiesen, von der TAZ bis zu den Grünen. Ganz entspannt im hier und jetzt wurde eine neue Devise, “umfließen statt anbranden” eine neue Strategie. Peter Rühmkorf, Peter Maiwald und Konstantin Wecker feierten in ihren Versen die Rückbesinnung auf das Individuum.
Mit im versöhnlichen Programmende war auch wieder der Baggerführer Willibald in Dieter Süverkrüps Hymne auf die Hausbesetzerszene. Angi Domdey und die Gruppe Schneewittchen besangen den Strand, der unter dem Pflaster liegt. Auch dieses wurde rezitiert.
Der lyrische Parforceritt durch hügeliges Gelände klang mit der bekannten Frage der niederländischen Gruppe Bots aus „Was wollen wir trinken …“
Künstlerische und wissenschaftliche Konzeption sowie Präsentation: Wolfgang Reinke und Dr. Ingrid Schupetta
Projektleitung:
Anja Jansen, Werkhaus e.V.
In der Reihe “Vorwärts, doch nichts vergessen! – Lyrik und Politik” des Werkhaus e.V. mit Wolfgang Reinke und Dr. Ingrid Schupetta.