Sounds and Voices of Istanbul – Rückblick auf den Istanbul-Krefeld-Kulturaustausch
Beim Istanbul-Krefeld-Kulturaustausch hat der Werkhaus ev mehrere Monate mit dem Krefelder Musiker Till Menzer (Mondo MashUp, Provinztheater, Horst Hansen Trio) gearbeitet.
Das Finale wurde das genreübergreifendes Spektakel am 31.10.2019 im Südbahnhof
Inhaltlichen Mittelpunkt stellt der internationale Austausch zwischen Weltmetropole (Istanbul) und niederrheinischer Großstadt (Krefeld) und die Untersuchung der unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten von kreativen Menschen dort und hier dar, die teilweise weitaus mehr miteinander gemein haben, als es auf den ersten Blick scheint.
Von Vorneherein stand für die Beteiligten OrganisatorInnen Anja Jansen, Till und Malte Menzer fest, dass ein progressives und weltoffenes Gesicht der Türkei gezeigt werden sollte, dass die aktuellen Debatten Pro und Kontra Erdogan und den angeblich vorherrschenden religiös geprägten Konservativismus in der Türkei kontrastiert und dem Publikum die Chance gibt, einen Blick auf das kulturelle Schaffen junger TürkInnen zu geben.
Um 19 Uhr öffneten sich die Türen des alten Bahnhofsgebäudes und die ersten Zuschauer plätscherten in die weitläufigen Räumlichkeiten, um zu Klängen von Altin Gün und Mustafa Ökzent aus der Konserve ein Kaltgetränk zu genießen, bevor die Fotoinstallation „Topographic Nostalgia” des Istanbuler Künstlers Ali Taptik offiziell eröffnet wurde. Die Auseinandersetzung des Künstlers mit eingeschränkten Lebensräumen von Mensch und Natur in der gigantischen Stadt am Bosporus setzt er in “Topographic Nostalgia” mit der Erforschung Istanbuls verborgener Flusslandschaft fort. Die Installation ist noch bis zum 6.Dezember im Südbahnhof zu sehen.
Gegen halb neun startete dann auch das musikalische Programm mit Electro Hafiz, die in Duo-Besetzung aus elektrisch verzerrter Saz und Darabuka psychedelische Klänge in Rockkonzert-Lautstärke auf das Publikum abfeuerten, die untermalt durch lautmalerische und erzählende Elemente des versierten Percussionisten Staunen in viele Gesichter zauberte.
Nach einem kurzen Umbaupause wurde dann auch der zweite musikalische Act auf die Bühne geholt. Nachdem Till Menzer den gespannten Zuschauern einen Einblick in das Projekt des Kulturaustausches zwischen Istanbul und Krefeld gab, dessen Bindeglied er selbst ist: Es solle an diesem Abend nicht die Flüchtlingspolitik zwischen Berlin und Ankara, noch der militärische Angriff in Syrien oder andere Themenkomplexe der großen Weltpolitik im Mittelpunkt stehen, sondern die Menschen und Identitäten, die sich im Südbahnhof versammelt hatten und der direkte Austausch von einem Einzelstück zum nächsten.
Nach der emotionalen Einleitung bat er zuerst seine deutschen Freunde und Mitmusiker Sebastian Vogel, Carsten Hackler und Thomas Tito auf die Bühne, um dann mit den beiden Gästen aus Istanbul Özgun Tuncer und Bidar selbst das Ensemble zu komplettieren.
Was dann folgte, war ein knapp anderthalbstündiges Konzert auf höchstem musikalischen Niveau zwischen Jazz, Soul und Pop mit groovigen, teils vertrackten, und ebenso stark effektiert sphärischen Elementen, die ebenso eingängig wie überraschend keinen Augenblick ließ, um die Gedanken schweifen zu lassen .
Dank der umfangreichen Vorbereitung und Kommunikation von Till Menzer und der Transkription von Bastian Vogel im Vorfeld konnten sich die deutschen Musiker wohl schon vor dem ersten Aufeinandertreffen (drei Tage vor dem Auftritt) so gut auf das Basis-Songmaterial von Sängerin Bidar und Saxophonisten Özgun Tuncer einschießen, dass die Proben vor allen Dingen zur Einübung der notwendigen Kommunikation und Interaktion während der Improvisation genutzt werden konnten. So kamen sowohl eingefleischte Jazz-Nerds als auch pop-affine und tanzlustige Gäste voll auf ihre Kosten und die Fläche direkt vor der Bühne füllte sich erst zaghaft, dann aber mit immer mehr Elan, was von den Stuhlreihen erst kritisch beäugt, dann wohlwollend hingenommen wurde.
Im Hintergrund hatte sich der Ausstellungsraum unauffällig vollkommend gewandelt und in ein Video-Kabinett aus der Feder Volkan Ergens verwandelt, der an dem Abend persönlich leider nicht anwesend sein konnte. Dieser Vertreter des Free-Jazz und der Szene der freien Improvisatoren in Istanbul beschäftigt sich in seinen Arbeiten unter anderem mit dem Wandel der Perspektive, der Sehnsucht nach Freiheit, aber auch den düsteren Abgründen der menschlichen Seele. Drei parallel laufende Projektionen zeigten dabei, untermalt von verstörend anmutenden, atmosphärischen Klängen, die sich nicht konkret zu einem der Videos zuordnen ließ, Musiker in unberührten Landschaften sowie Nahaufnahmen von Augäpfeln und anderer organisch anmutender Stoffen, sowie eine nackte, afrikanische Frau die in einem tranceartigen Tanz die Kuppeldecke des Raumes einnahm.
Sounds and Voices of Istanbul war ein spannender Abend sowohl für Veranstalter, sowie die Mitwirkenden und Zuschauer. Sehr zu unserer Freude konnten wir ein Publikum verschiedenster Hintergründe und Altersklassen in den Südbahnhof locken – das macht Freude auf eine Fortführung im nächsten Jahr.
Düm-Tek ist übrigens das türkische Äquivalent zum europäischen Boom-Tschak. Alles klar, oder?