Was bisher geschah und was noch kommt, Teil 3
Demokratie ist nicht selbstverständlich. Doch das Rad muss nicht neu erfunden zu werden, um die Welt zu erklären, zu verstehen oder gar zu verbessern. Unter dem Generalthema „Vorwärts, doch nichts vergessen! – Lyrik und Politik.“ entstand eine fünfteilige Veranstaltungsreihe anhand der Leitfragen:
Was haben die revolutionären Gesänge der Vergangenheit, die Stimmen der Frauen oder die Erfahrungen der nach-68er heutigen Bewegungen zu sagen?
Können sie für die Zukunft Ermutigung sein? Ist es gut zu wissen, wo man seine Wurzeln hat?
Lassen sich Fehler der Vergangenheit vermeiden?
Dr. Ingrid Schupetta und Wolfgang Reinke machten eine Rückschau auf das, was die besondere Härte des Generationskonfliktes in den ersten Jahrzehnten der BRD ausmachte.
Töchter und Söhne stellten die Autorität der Aufbaugeneration in Frage. Wie konnten Eltern und Großeltern, die Hitler gefolgt waren, Vorbilder sein? War einer Gesellschaft, einer Wirtschaft und einem Staat zu trauen, die als Repräsentanten auch ehemalige Nazis tolerierten? Konnte eine Demokratie sicher sein, die bereit war, sich über Notstandsgesetze selber aufzugeben?
Der erste Teil der Veranstaltung “In meines Vaters Haus – Gedichte nach dem Deutschen Herbst” begann mit Franz-Josef Degenhardts „Wenn der Senator erzählt…“ Peter Rühmkorf rechnete ganz persönlich mit den Befürwortern von Gottfried Benn ab. Ernst Jandl und F.C. Delius beschäftigten sich mit Vätern, die zu wenig oder zu viel vom Krieg redeten. Ulla Hahn weitete die Sicht auf Mütter und Töchter, Helga M. Novak auf das Leben in der DDR. Rio Reiser zog dann das Fazit: „Ich will nicht werden, was mein Alter ist“.
Doch auch in dieser Zeit beschäftigte sich die Lyrik mit den Irrungen und Wirrungen der Gefühlswelt vor dem Hintergrund der sexuellen Revolution, die mit den Zweifeln an althergebrachten Rollenbildern einhergingen. Peter Hacks, Helga M. Novak, Thomas Brasch, Heinz Czechowski und Sarah Kirsch arbeiteten sich am subjektiven Faktor ab, während es im Liebesleben von Wolf Biermann eher deftig zuging.
Spuren der Zeitgeschichte fanden sich in den Gedichten von Günter Kunert, Volker v. Törne, Ursula Krechel und Peter-Paul Zahl. Parallel ging ein Teil der politisierten jungen Erwachsenen auf den Kurs der Gewalt. Sie waren der Überzeugung, dass man dem Staat seine Maske vom Gesicht reißen müsste. Die Massen auf der ganzen Welt würden dann gegen den Kapitalismus/Faschismus rebellieren. Zu diesem Zweck gründete sich in Deutschland die Rote-Armee-Fraktion (RAF). Ihre diffus ideologisch unterfütterten Morde, insbesondere der im Oktober 1977 an Hanns Martin Schleyer, erschütterten die BRD. Der Tod der Häftlinge Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Oktober wurde von nicht wenigen als Rache des Staates begriffen. Erich Fried problematisierte die Todesumstände in seiner „Selbstmordlegende“. Die Verhältnisse waren so desolat, dass viele der Justiz Morde zutrauten.
Im Januar 1978 riefen die alternativen Gruppen, die sich jenseits von Terroristen, Kommunisten nach DDR oder China-Fasson entwickelt hatten, zu einer Reise an den Strand von Tunix nach Berlin auf. In der Technischen Universität wurden viele Projekte vorgestellt, die sich als erfolgreich erwiesen, von der TAZ bis zu den Grünen. Ganz entspannt im hier und jetzt wurde eine neue Devise, umfließen statt anbranden eine neue Strategie. Peter Rühmkorf, Peter Maiwald und Konstantin Wecker feierten in ihren Versen die Rückbesinnung auf das Individuum.
Mit im versöhnlichen Programmende war auch wieder der Baggerführer Willibald in Dieter Süverkrüps Hymne auf die Hausbesetzerszene. Angi Domdey und die Gruppe Schneewittchen besangen den Strand, der unter dem Pflaster liegt. Auch dieses wurde vorgelesen.
Der lyrische Parforceritt durch hügeliges Gelände klang dann mit der bekannten Frage der niederländischen Gruppe Bots aus „Was wollen wir trinken …“
Dr. Ingrid Schupetta und Wolfgang Reinke
gefördert durch
über