re:Kultur – Kommunikation: Weichenstellung II
Mit der Veranstaltung re:Kultur – Kommunikation luden wir am 24.07.2022 ein zu einem Tag, bei dem sich vieles um demokratische Beteiligungsprozesse drehte. Bei Impulsvorträgen wollten wir die etablierten Perspektiven von Bürgerbeteiligung im städtischen Kontext thematisieren. Was können wir tun, um gemeinschaftliche Diskurse aufrecht zu erhalten? Oder auch welche Möglichkeiten existieren, die wir gar nicht kennen. Langweilig? Party ist es nicht ;)
Es gibt Leute, die beschäftigen sich mit so etwas wie Bürgervereine oder Bezirksvertretungen. Als eine der ersten Reaktion auf unsere Veranstaltung haben wir dann folgendes in Auszügen hier vorgestelltes Papier erhalten, das nochmals erhellende Informationen zu der Historie von Krefelder Bürgervereinen und der Entstehung der Bezirksvertretungen gibt. Old school – oder einfach Strukturen für die man auch ein bisschen Älter werden muss, um sich an ihnen zu beteiligen?!
Bürgerschaftliches Engagement
Unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft Krefelder Bürgervereine sind rund 30 Adressen verzeichnet. Es sind die Adressen der Bürgergesellschaften und Bürgervereine. Sie decken nahezu lückenlos das gesamte Stadtgebiet ab. In kaum einer anderen Stadt gibt es diese Ebene flächendeckender bürgerschaftlichen Aktivität. Allenfalls von Wuppertal ist ansatzweise eine ähnliche Organisationsebene bekannt. Warum gerade die Krefelder glauben, daß neben Stadt und Kirche, neben dem dichten Netz von mehr als 700 eingetragenen Vereinen eine auf den jeweiligen Stadtteil bezogene Organisation erforderlich ist, kann einem niemand plausibel erklären. Darüber kann man allenfalls spekulieren.
Die ältesten Bürgervereine haben das Jubiläum des 100jährigen Bestehens schon lange hinter sich. Kriegsbedingte Pausen, durch Personalflaute bedingte Chronologie-Lücken gibt es in jeder der Vereinsbiographien. Aber nie war einer dieser alten Vereine so tief entschlafen, daß nicht eines Tages jemand erfolgreich den letzten Lebens-Funken wieder angeblasen hätte. Die jüngsten der Bürgervereine erblickten vor mindestens 20 Jahren das Licht der Welt. Der allerjüngste Bürgerverein besteht seit ca. drei Jahren.
Wer in der Geschichte der alten Bürgervereine blättert, findet meist einen konkreten Tatbestand, der die Gründung der Organisation ausgelöst hat. Im Bürgerverein Bahn-Bezirk beispielsweise, der es auf weit mehr als 130 Jahre bringt, rotteten sich Krefelder zusammen, die ihre Interessen im Krefelder Rathaus mangelhaft berücksichtigt fanden. Tatsächlich waren die Zustände rund um den Krefelder Bahnhof zur Zeit der Gründung des Vereins völlig unhaltbar. Auf den Bahnstrecken nach Kleve und Aachen herrschte reger Verkehr. Die Schienen befanden sich noch auf der 0-Ebene. Häufig blieben die Schranken am Rande der Innenstadt eine halbe Stunde lang oder auch länger geschlossen. Fuhrleute standen mit ihren Pferdefuhrwerken und Kutschen ebenso in einem endlosen Stau wie Fußgänger. Hinzu kam, daß die Dampflokomotiven die Gegend mit Ruß einpuderten. Der Protest gegen diese Zustände war eine der wichtigsten Aktivitäten des Bürgervereins. Und wenn man so will – er hatte Erfolg. Um 1904 begann man mit dem Bau des Bahndamms diagonal durch das gesamte Stadtgebiet.
Wir lernen daraus, daß das Wort ,,Bürgerinitiative” zwar in den 70er Jahren erfunden wurde und eine große Konjunktur erlebte. Die Sache selbst war spätestens im 19.Jahrhundert bereits erfunden, in Funktion, erprobt und erfolgreich.
Ein anderes Motiv für die Gründung von Bürgervereinen war der Wunsch, die historisch gewachsene Identität eines Stadtteils zu wahren und zu pflegen. Ein Fischelner ist eben noch lange kein Hülser. Und ein Verberger will partout kein Inrather sein.
Je größer und globaler die Welt wird, je verwirrender ihre Zustände und Zwänge sich präsentieren und auswirken, desto mehr streben viele Menschen nach einer Alternative, nach Überschaubarkeit und Orientierungsmöglichkeiten, nach einem Mittel gegen Anonymität und Einheitsbrei. Und so ist ein Bockumer immer und zu allererst ein Bockumer, dann erst ein Krefelder, schließlich auch ein Rheinländer, unvermeidlicherweise ein Deutscher und letztlich auch noch Europäer.
Das Bestreben, überschaubare Verhältnisse zu konstituieren, ist mit Sicherheit ein wichtiges Motiv für die offenkundige Unverzichtbarkeit der Bürgervereine. Junge Bürgervereine treten für diese These ebenso überzeugend den Beweis an. 1968 wurde beispielsweise der Bürgerverein Elfrath gegründet. Elfrath hatte bis dato keinerlei Ortsqualitäten aufzuweisen. Erst, als im Gefolge des Bevölkerungswachstums der Nachkriegs-Fluchtbewegungen, des dadurch erforderlichen Baubooms auf den Ackerflächen neben Haus Rath innerhalb weniger Jahre ein neuer Stadtteil entstand, regte sich auch dort lokal begrenztes Eigenleben.
Es regte sich unter anderem aus Protest gegen Diskriminierung. Elfrath galt als Sozialgetto innerhalb der Stadt, als belastete Problemzone, als inakzeptable Adresse. Und tatsächlich hat die Gründung des Bürgervereins, die damit formierte Interessenvertretung und Eigeninitiative entscheidend dazu beigetragen, das Profil des Stadtteils positiv zu korrigieren.
Ein weiteres Motiv für die Lebensfähigkeit der Bürgervereine ist die Tatsache, daß der Krefelder gern wider den Stachel der Obrigkeit löckt, gleichzeitig aber die Parteien als ungeeignetes Mittel zur Korrektur der Verhältnisse ansieht. Ja, sehr vielen Krefeldern ist eine ausgesprochene Abneigung eigen, eine politische Ausrichtung zu erkennen zu geben, geschweige Mitglied einer Partei zu werden und dafür auch noch Beitrag zu zahlen. Selbst wenn man aus Gründen gewissen Kalküls Mitglied einer demokratischen Partei ist, redet man tunlichst nicht darüber. Man gibt sich gern neutral, ungebunden und nach allen Seiten offen. Von mehr als 160 000 Wahlberechtigten sind nur rund 4200 Mitglied einer Partei. Mitglied eines Bürgervereins zu sein, gilt hingegen als Ausweis von Unabhängigkeit, Gemein- und Eigensinn.
In diesem Zusammenhang ist die letzte Gründungswelle interessant, die den jetzigen Organisationsgrad der Bürgervereine auf Gesamtstadtebene herbeiführte. Sie war eine Reaktion auf die ,,von oben” inszenierte Installation von neun parteipolitisch besetzten Bezirksvertretungen im Jahre 1975.
Bei der Betrachtung dieses Phänomens muß man etwas über die Stadtgrenzen und die Jahreszahl 1975 hinausgreifen. Bereits im Jahr 1969 hatte das Land NordrheinWestfalen in einer ersten Welle der kommunalen Neuordnung viele selbständige Gemeinden zu größeren Einheiten zusammengeschlossen. Nur Zeitzeugen können sich noch vorstellen, wie massiv die Proteste der Bürger in den Gemeinden waren, die ihre Selbständigkeit verlieren sollten. Nebenbei gesagt: ein Kraftakt wie der der kommunalen Neuordnung des Jahres 1975 wäre heutzutage undenkbar. Mit der Selbständigkeit gingen auch viele Mandate politisch aktiver Bürger über den Jordan. Das bewirkte einen Verlust aktiven Personals bei den Parteien, der bis heute spürbar ist.
Krefeld war bei dieser Neuordnung des Jahres 1969 eine Ausnahme. Das Stadtgebiet veränderte sich nur marginal. Die Auswirkungen, die ringsum alles in höchste Aufregung versetzten, blieben in der Stadt nahezu unbemerkt. 1975 allerdings kam nicht nur Hüls zu Krefeld. Der Landtag erließ auch ein Gesetz, das den Personalverlust des Jahres 1969 ausgleichen und eine ortsnahe politische Repräsentanz ermöglichen sollte. Den Großstädten wurde aufgegeben, mindestens drei, höchstens neun Bezirksvertretungen zu installieren und durch Wahlen politisch zu besetzen. Für die engmaschige Neuner-Lösung sprach damals in den Augen der Krefelder Lokalpolitiker durchaus neben vielem anderen auch das Argument, einigen bürgernah tätigen und recht renitenten Vereinen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Es entsprach dem Klima der Zeit – man denke an die 68er Jahre und ihre Folgen auch in bürgerlichen Kreisen einiges an Protestpotential zu mobilisieren. Die Arbeitsgemeinschaft der Bürgervereine lieferte in ihrer langen Ära ständig die öffentliche, kritische Begleitmusik zu vielen städtischen Aktivitäten. Auch manche örtlichen Bürgervereine nutzten ihr Gewicht und die Presse, um Forderungen und Kritik massiv anzubringen.
Für das Landesgesetz zur Installation von Bezirksvertretungen hatte ein Krefelder Modell Pate gestanden. Die Stadt Uerdingen, die 1929 zum Zusammenschluß mit Krefeld gezwungen wurde, hatte sich im Vereinigungsvertrag mit einer Bezirksvertretung ein örtliches Quasi-Parlament ausbedungen. Die Ureignere Bezirksvertretung mit dem Bezirksbürgermeister an der Spitze erwies sich als wirksames Friedensangebot und bewährte sich als Pufferzone zwischen ,,Rheinstadt” und ,,Gesamtstadt”. Freilich waren 1975 längst nicht alle Großstädte daran interessiert, das engmaschige Netz der Bezirksvertretungen einzurichten. Städte, die mehrfach größer sind als Krefeld, begnügen sich mit drei solchen Lokalvertretungen.
Die Krefelder reagierten auf das engmaschige Netz anders, als dies erwartet wurde. Was als basisdemokratisches Friedensangebot der ,,Stadtregierung” propagiert wurde, wurde vor Ort in einigen Stadtteilen als parteipolitisch gelenkte Bevormundung aufgefaßt. Dagegen, so glaubten viele, hilft nur die Gründung eines Bürgervereins, falls der noch nicht bestehen sollte, beziehungsweise die Aktivierung eines bestehenden Vereins. Und so stellt sich die Landkarte der Krefelder Bürgervereine nun dar.
Freilich, betrachtet man den einzelnen Verein, so sind die Unterschiede gravierend. Manchem Verein genügt es, für die Kinder des Viertels den gemeinsamen Martinszug zu organisieren und den Mitbürgern, die über 70 Jahre alt sind, einen Geburtstags-Gruß zu senden. Andere Bürgervereine versenden überdies Weihnachtspäckchen an Bundeswehrsoldaten, richten Feste und Mundartabende aus, laden Senioren zu Karnevals- und Adventsfeiern ein und werden von ihren Vorständen virtuos als Lobby des Stadtteils genutzt, wenn es um die Sicherung von Schulwegen, die Einrichtung von Verkehrsampeln, den Ausbau von Straßen, die Erweiterung der Grundschule und andere wichtige Anliegen geht.
Dabei darf nicht übersehen werden, daß es längst nicht allen Bürgervereinen gelingt, personell auch die parteipolitische Neutralität darzustellen, die man so gern anstrebt. Das Potential tüchtiger Ehrenamtler in der Stadt hat seine Grenzen. Außerdem mögen wachsame Parteilenker eine solch umfassende Struktur nicht frei im Raum agieren lassen. So meldet sich denn der eine oder andere Parteipolitiker freiwillig oder er wird vorgeschlagen, wenn es gilt, den Vorsitz eines Bürgervereines zu besetzen.
Man versucht also, mehr oder weniger offen eine Frau/einen Mann aus den eigenen Reihen an die Spitze eines solchen Vereins zu lancieren, damit man die Sache ein wenig unter Kontrolle hat und das Feld nicht fahrlässig der Konkurrenz überläßt. Und da sich längst nicht überall ein einsatzfreudiger und sachkundiger ,,freier” Bürger findet, haben die Parteien mit dieser Art von Personalpolitik sehr häufig auch Erfolg. Praktisch ist in diesem Zusammenhang auch, daß der Bürgerverein für den tüchtigen Parteipolitiker eine willkommene Bühne sein kann, auf der er sich als Kandidat für höhere Weihen präsentieren kann.
Wie dem auch sei – wenn es die Bürgervereine nicht gäbe, müßte man sie erfinden. Wenn sie als Korrektiv der politischen Ebene mit gemäßigten Methoden agieren, so sind sie doch in der Binnenwirkung innerhalb ihres Stadtteils unverzichtbar. Sie sind immerhin eine Adresse, bei der ein Bürger seine Sorgen anbringen kann und hoffentlich den richtigen Weg gewiesen bekommt. Sie sind vor allem dazu gut, eine kleinräumige Identität zu fördern, Menschen zusammenzubringen, einsame Senioren oder Hilfsbedürftige aufzuspüren und mit Fürsorge zu umgeben, eine überschaubare Welt zu schaffen, in der sich der Bürger unserer Zeit beheimatet fühlt.
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