Soziale Geheimnisse – schambesetzte Armut

Beim Kamingespräch im Rahmen der Ausstellung „Geheimnisse“ im Südbahnhof ging es um das Bemühen, Armut vor anderen zu verbergen.
Armut allein ist bitter genug. Denn die Armen stehen daneben, wenn andere es sich gut gehen lassen können. Sie haben schon genug damit zu tun, ihre nötigsten Grundbedürfnisse zu befriedigen, das Dach über ihrem Kopf zu erhalten oder die kaputte Waschmaschine zu ersetzen, die Kinder ordentlich zu kleiden und ihnen den Schulausflug zu ermöglichen. Mit solchen Problemen wird Carmen Pelmter täglich konfrontiert. Sie ist Mitarbeiterin des ökumenischen Arbeitslosenzentrums Krefeld-Meerbusch ALZ. In seiner Geschäftsstelle am Westwall berät sie und drei weitere Kollegen allein in der offenen Sprechstunde zweimal wöchentlich 25 Menschen. „Der Bedarf ist groß“, sagt sie.

Armut ist ein Stigma
Hier sprechen die Menschen oft zum ersten Mal über die Probleme, deren Auswirkungen sie vor den Nachbarn, den Verwandten, den Kindern sorgfältig zu verbergen suchen. Armut ist in unserer Gesellschaft verpönt! Deswegen werden auch Leistungen aus dem Paket „Bildung und Teilhabe“ nur sehr zögerlich in Anspruch genommen. Damit soll es allen Kindern ermöglicht werden, Mitglied eines Sportvereins zu sein oder mit auf Klassenfahrt zu gehen. Aber keiner will, dass Bedürftigkeit öffentlich wird. „Langzeitarbeitslose erfahren weder angemessene Beachtung noch Hilfsbereitschaft.“, sagt Pelmter. „Flüchtlinge sind da gesellschaftlich viel besser angesehen.“ So wächst die Angst der Betroffenen. „Manche sind nicht in der Lage, einen Brief zu öffnen und kommen dann zu uns, wir machen es dann gemeinsam“, berichtet sie.

Jobcenter und Arbeitsagentur beraten nicht immer korrekt
Das ALZ übernimmt Lotsenfunktionen und berät unabhängig, denn die Menschen werden bei der Arbeitsagentur oder der Jobbörse nicht immer korrekt beraten. Davon kann auch Manfred Göbel berichten. Der Rentner ist ehrenamtlicher Begleiter des Projekts „keiner geht allein zum Amt“ und erfährt hautnah, wie entwürdigend und respektlos Arbeitslose dort zuweilen behandelt werden. „Ich bin da ein Puffer. Die Mitarbeiter trauen sich nicht so viel und gleichzeitig wirke ich beruhigend auf die Betroffenen, die manchmal kurz davor sind, dass ihnen der Kragen platzt.“

Falsche Vorstellungen und Aufruf zur Solidarisierung
Moderatorin Edith Bartelmus-Scholich räumt auch mit falschen Vorstellungen auf. „Bildung schützt heutzutage nicht mehr vor Armut, das ist ein Trugschluss.“ Außerdem weist sie darauf hin, dass sich die Reichen heutzutage gut solidarisieren, die Armen hingegen nicht. Wie auch, wenn keiner sich als arm outen will.

Kommentar:
von Susanne Böhling
Warum ist es eigentlich eine Schande, arm zu sein? Wir wissen doch längst, dass mehr Konsum nicht automatisch mehr Glück bedeutet. Wir sehen immer wieder, dass viele zusammenbrechen im Rennen um den Erfolg, der vor allem in Geld gemessen wird. Dass sie sich verausgaben, ihre Gesundheit ruinieren und ihre Werte verraten im Strudel des „Höher, weiter, schneller“. Gut, es ist einfacher, wenn man freiwillig verzichtet. Aber bis sich die Politik der Benachteiligten besinnt und etwas ändert, ist es vielleicht schon hilfreich, den Kopf nicht hängen zu lassen. Mit erhobenem Kopf kämpft es sich auch leichter.

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