19. Story Geheimes SpieDie

SAIN BAINUU

Nein, kein Buchstabensalat und keine Geheimschrift. 2006 und 2007 hing ein Schild über dem SpieDie-Eingang und begrüßte so, mit einem „Herzlich Willkommen“, eine Jugendgruppe aus Ulan-Bator (Ulaanbaatar).
Die TALIN OCHID, die „Steppenkinder“ unternahmen in diesen Jahren eine Tournee durch Deutschland. Neben Berlin, Bad Segeberg, Bremen, Münster und Werne konnten sie auch für Auftritte im Krefelder SpieDie gewonnen werden.
Martin Bahrenberg war Lehrer an der deutsch-mongolischen Schule Nr. 38, der Alexander-von-Humboldt-Schule, in der Hauptstadt des Mongolischen Staates und leitete zusammen mit der mongolischen Lehrerin Minjbadgar Kazagvai die 12-köpfige Mädchentruppe, die außerdem vom kleinen Sohn Martins verstärkt wurde.
Zu jeweils zwei Auftritts-Terminen präsentierten die TALIN OCHID eine über 1-stündige Mix-Show, die sich gewaschen hatte.

Schon allein die traditionellen Kostüme der Jugendlichen waren sehenswert. Staunen konnten die Zuschauer, in der ausverkauften Aktionshalle, z.B. über die akrobatischen Leistungen der Truppe, über traditionelle Tanzvorführungen, Obertongesang und Musikvorträge an der Pferdekopfgeige, der Morin Chuur.
Absolute Bewunderung errangen aber die Schlangentänzerinnen die sich in schier unmöglichen Körperhaltungen verbogen und zeigten, zu was der menschliche Körper im Stande ist, wenn er denn so trainiert und gelenkig ist, wie bei diesen Mädchen. Selbst Martins Sohn trug etwas zur Show bei, indem er alleine auf der Bühne  Karateübungen vorführte. 

Auch Liedvorträge in der Landessprache und in gekonntem deutsch, begleitet von Martin an der Gitarre, gab es zu hören. Schließlich lernten die Chormitglieder in der Schule ja Deutsch als Fremdsprache.

Wer nun meinte die mongolischen Mädchen seien rückständig, „von hinter dem Mond“, der irrte sich. Die Show der Girls aus dem Osten bot auch ausklügelte Gruppen-Hiphopeinlagen zu gängigen Hits. Die Choreographien dazu wurden z.T. kurz vor den Auftritten in Eigenregie eingeprobt. Bravo, Hochachtung und Applaus für die gesamte Darbietung der TALIN OCHID!

2007 präsentierte die Truppe spontan auch Ausschnitte ihres Programms auf dem Neumarkt.

Für Aufregung sorgte ein Unfall kurz vor dem letzten Auftritt. Vor wartendem Publikum verarzten angerückte Rettungssanitäter backstage den stark blutenden Fuß der Betreuerin, die sich in der Dusche verletzt hatte. Es war nicht so schlimm aber wohl ziemlich schmerzhaft. But, the Show must go on!

Vollverpflegung erhielten die mongolischen Gäste im SpieDie. Im kleinen Haus auf dem Spielplatz hatten die Mitarbeiter*innen ein Schlaflager für die Mädchen eingerichtet. In einem separaten Raum nächtigte die Betreuerin mit dem Jungen und Martin schlief im Raum vor dem Büro. Ich selbst hielt Nachtwache in der Halle.
Nicht alle Speisefolgen mundeten der Truppe jedoch. Kuhmilch mochten sie z.B. gar nicht. Sie wünschten sich lieber Pferdemilch, die wir allerdings nicht bieten konnten.
Dennoch fühlte sich das Ensemble wohl in der improvisierten Herberge. Die SpieDie-Kinder freundeten sich mit den bewunderten, fremdartigen Besucherinnen an und zeigten ihnen wie man Fahrrad fährt, was sie schnell erlernten. Nur wenn einige unsere Kids die Mädchen als Chinesen bezeichneten zeigten sie sich sauer. Sie seien Mongolen und keinesfalls aus China kommend. Zwar waren die jungen Besucherinnen älter und die Verständigung nicht immer ganz so einfach, aber das schien nichts auszumachen. Das zeigten auch die vielen schönen Eintragungen ins Gästebuch der Truppe, wie Martin später in einer E-Mail aus Ulan-Bator schrieb.  

Martin erzählte viel über das Leben in der mongolischen Hauptstadt und seine Schülerinnen. Er berichtete die Mädchen würden in jeder freien Minute proben, dies oft ohne Anleitung z.B. in den Schulpausen auf dem Flur der Schule. Es mangele an allen Ecken in der Schule. Eine vernünftige Toilette gäbe es nicht. Oft fiele der Strom in der Stadt aus und ohne Taschenlampe ginge gar nichts. Aufpassen müsse man nachts auf den Straßen da des öfteren die Gullideckel gestohlen seien. Überall gäbe es verwilderte Hunde, die ebenso von Essensresten lebten, wie wohnungslose  Menschen. Die Schule sei noch zu DDR-Zeiten gegründet worden und nun von der Bundesrepublik übernommen worden. Später berichtete er die Situation habe sich etwas verbessert, man habe jetzt hinreichende Sanitäranlagen.

Zum Glück ist heute anscheinend alles viel besser geworden, wie man im Internet recherchieren kann. Verdient haben es die Steppenkinder und das Land in Zentralasien.

Zurück zu den TALIN OCHID im SpieDie. Einige Tränen kullerten als die Truppe im Bus abreiste und kleine Geschenke zum Abschied ausgetauscht waren. Eine Überraschung bot die Nachtlagerstätte im kleinen Haus beim Aufräumen. Wir fanden bestimmt an die dreißig leere Schuhkartons. Offensichtlich hatten sich die Mädchen in der Stadt mit den Tournee-Gagen reichlich mit schicken Schuhen eingedeckt.   

Schön, modische Schuhe aus Krefeld nun in Ulan-Bator!  

Krefeld, Sept. 2022

Helle (Helmut Boeck)

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